Artikel über den „Spickzettel für den Umgang mit Trauernden“

Gestern war die SPES VIVA Zeitung bei mir im Briefkasten.
SPES VIVA ist eine sehr aktive Hospizinitiative, die sich auch für Trauernde einsetzt und die z.B. ein eigenes „Trauerland“ für Kinder und Jugendliche in 49191 Belm betreibt.

Ich habe die Zeitschrift zugeschickt bekommen, da ich vor längerer Zeit mal gebeten wurde, einen Artikel über den „Spickzettel für den Umgang mit Trauernden“ dafür zu schreiben. Der wurde nun gedruckt.

Das hier ist der Text:

Ein Spickzettel für den Umgang mit Trauernden

Ist so etwas denn überhaupt nötig? Ich denke ja, denn in meiner langjährigen Tätigkeit als Trauerbegleiterin ist mir tatsächlich noch kein einziger Mensch begegnet, der mir nicht von Verletzungen durch sein soziales Umfeld berichten konnte.

Mich machen die Berichte von Trauernden immer sehr betroffen, denn es handelt sich in den allermeisten Fällen um vermeidbare Verletzungen, die nur durch Unwissen oder aus Unsicherheit entstehen. In der Regel will niemand bewusst einem anderen Leid zufügen, und doch erleben Trauernde genau das sehr oft. Meist sind es unbedachte Äußerungen oder gutgemeinte Ratschläge, die sich bei Betroffenen regelrecht ins Gehirn brennen können und die dann zum Teil auch das Ende von Freundschaften nach sich ziehen. Sätze wie „Das Leben geht weiter“, „Ihm geht es jetzt besser“ oder „Das Schicksal hat es so gewollt“ mögen für Nicht-Trauernde harmlos und gut klingen und es steckt ja auch Wahrheit drin, für Menschen, die einen schweren Verlust erlebt haben, sind sie aber kein Trost. Im schlimmsten Fall verletzen sie, da sich der Trauernde in seinem Schmerz überhaupt nicht gesehen und verstanden fühlt. Ihm kommen solche Sätze wie billige Vertröstungsversuche vor und er fühlt sich nur noch einsamer und vom Umfeld separiert.

Es gibt sehr viele typische Phrasen, die Trauernden in Gesprächen begegnen. Ich nenne sie Trauerfloskeln und ich habe mit Followern meiner Facebookseite viele davon gesammelt und kategorisiert. Es war erschreckend zu sehen, wie viele Trauernde die Floskeln kannten und wie viele darunter wirklich zum Teil arg gelitten haben.

Aber warum werde sie überhaupt so oft in Gesprächen mit Trauernden benutzt?
Ich sehe darin ein gesellschaftliches Problem, denn ich glaube, dass es daran liegt, dass zu wenig über Trauer bekannt ist. Menschen, die noch nie selber einen schweren Verlust erleben mussten, können sich schlichtweg nicht in die Gefühlslage von Trauernden hineinversetzen. Ihnen fehlt dieser Selbsterfahrungswert und da wir in der Gesellschaft wenig über Trauer sprechen, könne sie auch nicht auf erlerntes Wissen zurückgreifen. Geht es jemandem schlecht, ist es ganz normal, dass wir versuchen, ihn mit Worten zu trösten, ihm Mut zuzusprechen, Hoffnung zu vermitteln … Genauso wird es auch bei Trauernden gemacht, nur da wird es von den Betroffenen oft nicht als hilfreich wahrgenommen, denn in der Trauer trösten nun mal keine Phrasen. Und auch Ratschläge, egal wie sinnvoll sie sein mögen, fühlen sich für Trauernde oft wie Schläge an.

Ein weiterer Grund, wie es zu den verletzenden Äußerungen kommt, liegt in der Unsicherheit vieler Menschen. Wer nicht weiß, was er sagen soll, versucht sich durch ihm bekannte Floskeln aus der Situation zu retten, denn es erscheint leichter, überhaupt irgendwas zu sagen, anstatt zur eigenen Sprachlosigkeit und Unsicherheit zu stehen. Das ist sehr schade, denn ein ehrliches „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“ ist natürlich 1000 x mal besser, als irgendeine Trauerfloskel. Daher heißt ein Satz aus meiner Reihe der #trauerwissen-Bilder auch „Wenn du nicht weißt, was du einem Trauernden sagen kannst, dann sag ihm genau das.“

Natürlich spielt es auch eine nicht zu unterschätzende Rolle, wer was in welcher Situation wie sagt. Trauende sind in der Regel zwar verletzlicher als unter normalen Umständen, sie haben aber meist ein gutes Gespür dafür, ob jemand ehrliches Interesse und Mitgefühl hat, oder ob der andere nur versucht, sich mit Floskeln schnell aus der Situation zu retten.
Aber es sind natürlich nicht nur Äußerungen, unter denen Trauernde leidern.

Oft verletzt es Trauernde auch sehr, wenn sie das Gefühl haben, man würde sie bewusst meiden. Mir wird regelmäßig von Leuten berichtet, die plötzlich die Straßenseite wechseln oder die sich im Laden versuchen hinter Regalen zu verbergen. Dahinter steckt auch fast immer große Unsicherheit und ein Gefühl der Überforderung. Die Leute wissen nicht, was sie sagen sollen und versuchen deshalb die Begegnung mit der trauernden Person zu vermeiden. Auch hier gilt, dass es viel besser wäre, dem anderen einfach ehrlich zu sagen, dass man unsicher ist und nicht weiß, was man sagen soll.

Der Spickzettel ist aus dem Wunsch heraus entstanden, durch mehr Wissen über Trauer Unsicherheiten im Umgang mit betroffenen zu verringern und so Verletzungen zu verhindern. Er wurde in Zusammenarbeit mit vielen Facebooknutzern entwickelt, er spiegelt also die Erfahrungen und Wünsche von vielen Trauernden wieder. Es war gar nichts so leicht, die wichtigsten Aspekte im Kontakt mit Trauernden in Kurzform auf eine Postkarte zu bekommen, aber am Ende ist es uns meiner Meinung nach recht gut gelungen.
Was viele Rückmeldungen von KollegInnen mittlerweile bestätigt haben, ist, dass der Spickzettel auch einen wunderbaren Gesprächseinstieg ins Thema bietet und genau aus diesem Grund darf die Bilddatei auch von Trauergruppen, Trauercafes, etc, aber natürlich auch von Privatpersonen für alle nicht kommerziellen Zwecke frei genutzt werden.

Das Design stammt übrigens von meiner Lieblingsgrafikdesignerin Tine Schenk, mit der die Zusammenarbeit einfach wunderbar funktioniert. Sie hat es bisher jedes mal geschafft, meine verschiedensten Ideen super umzusetzen.

Die Bilddatei steht zum kostenlosen Download auf meiner Seite iris-willecke.de zur Verfügung.
Wer mag, kann sich auch fertige Postkarten bei DanaCards (danacards.de) bestellen und damit gleichzeitig Gutes tun, denn bei DanaCards werden die gesamten Gewinne an soziale Projekte gespendet.

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